Seit einiger Zeit arbeite ich an der Übersetzung eines französischen Romans, auf den ersten Blick ein Coming-of-Age-Roman, aber bei genauerem Hinschauen eine schmerzliche Erinnerungsarbeit. Es geht um die Lebensgeschichte mehrerer Kinder, die ihre Familiensommer in den 80er-Jahren in großer Freiheit auf einer griechischen Insel verbringen. Doch was wie ein „Sommermärchen“ klingt, hat seine Schattenseiten. Nach und nach kommen die schwierigen Familienverhältnisse an Tageslicht, in denen die Kinder leben, die vorgeblich antiautoritäre, aber eigentlich selbstbezogene Haltung der Eltern, die die emotionalen Bedürfnisse ihrer Kinder vernachlässigen.
All dies liegt in ähnlichen Tiefen verborgen wie die Fundstücke der archäologischen Grabungsfelder, auf denen die Eltern arbeiten. Und es ist diese Doppelbödigkeit, die das Buch und die Übersetzung so spannend und interessant macht. Der umgangssprachliche Erzählton hat einen doppelten Boden, immer wieder schlägt die Bedeutung der Sätze und Wörter um, und die übersetzerische Herausforderung liegt darin, die Doppeldeutigkeiten in der einen auch in der anderen Sprache wiederzugeben. Aber genau darum macht die Arbeit großen Spaß.